Orte Paul Celans
Bei der Verleihung des Bremer Literaturpreises sagte Erhart Kästner in seiner Laudatio: „Es kann sein, dass ich dieses und jenes Gedicht falsch verstehe, es kann sein, dass ich es anders verstehe, als es gemeint ist, und es wird auch anderen so gehen. Aber das macht nichts, das ist nicht so wichtig im Vergleich zu dem Umstand, dass diese Gedichte bedrängen, dass sie überfallen, dass sie zu einer wie immer gearteten Vorstellung zwingen.“
Obwohl sich die Gedichte Celans so schwer erschließen suchte er das „ansprechbare Du“. Das Wort „Du“ wird in den Versen dreier Jahrzehnte über eintausenddreihundert Mal ausgesprochen. Celans letztes Gedicht „Rebleute“ hat den Refrain „Du liest“.
„Dass mit dem Wort „Sulamith“ aus dem Hohelied Salomons Celans erstes veröffentlichtes Gedicht endet und mit dem Wort „;Sabbath“ sein letztes, ist symptomatisch für die Ader des Judentums in ihm“, schrieb John Felstiner in seiner wichtigen und bisher umfassendsten Biographie (Paul Celan - Poet, Surviver, Jew, Yale University Press, 1997, deutsch bei C.H. Beck, 2000) - ein Aspekt, der in der neueren Celan-Forschung immer mehr beleuchtet wird - z. B. bei Uta Werner (Textgräber), Lydia Koelle (Paul Celans pneumatisches Judentum, 1997), der aber mit Ausnahme von Jerry Glenn (Paul Celan, 1973), Peter Mayer, James K. Lyon, Elke Günzel (Das wandernde Zitat, 1995) und einigen anderen in der frühen Celan-Rezeption oft außer Acht gelassen wurde.
Doch gibt es bei einem so komplexen Dichter wie Celan sicher keinen Königsweg der Interpretation, und Celans Gedichte lassen, wie vielleicht alle Gedichte großer Meisterschaft, fast immer mehrere Deutungen zu. Ambivalenz bestimmt sein Schaffen.